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Martin Ebers

"Das halbe Bild"

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Gewalthaltige Computerspiele

3. Andere "übliche Schuldige"

3.1 Pornographie

Untersuchungsergebnisse zu Pornographie: Wissenschaft vs. Moralvorstellungen

3.2 "Gewaltmusik"

"Wir wissen sowieso, was die [jugendlichen Sexualtäter] alle hören: Sido und diesen ganzen Dreck."
(intuitives Urteil des Pädagogen Werner Meyer-Deters, zitiert nach Miehling 2007)

"Bei der Skinhead-Musik handelt es sich um eine Musikrichtung, die von dumpfen, schlichten Melodien und harten, schnellen und stakkatoartigen Rhythmen dominiert wird. Sie kann ihrer Art nach als extrem laut und aggressiv charakterisiert werden."
(pars-pro-toto-Aussage im Verfassungsschutzbericht NRW 1996, S.98)

3.2.1 "Macht populäre Musik kriminell?"

In der Literatur finden sich konsequenterweise auch einige Auseinandersetzungen zu den Wirkungen von Musik. Der Medienkritiker Klaus Miehling nennt hier - in einer ähnlichen Argumentation wie bezüglich "Killerspielen", "Metzelspielen" etc. - den Begriff der "Gewaltmusik". Darunter faßt er "Musik mit "überbetontem" Rhythmus, mit verzerrten Klängen, "unsauberen" Intonationen, gegen den Takt gesetzten Betonungen, "aggressive[m] Gesang" und hoher Lautstärke (vgl. Miehling 2005, S.1).

x. Zur Motivation rekurriert Miehling (2005) - ähnlich wie die Medienkritiker in den anderen Rubriken - auf den "Hausverstand", daß Musik Gefühle ausdrückt und hervorruft. Er argumentiert, Musik gefalle dann, wenn der Hörer seine Gefühle mit den in der Musik zum Ausdruck gebrachten Gefühlen in Einklang bringen kann (vgl. S.2). Dabei vertauscht er aber gedanklich Ursache und Wirkung. Es mag durchaus so sein, daß jemand, der sich bestimmte Musik anhört, dadurch z.B. aktuell unkonzentriert wird als bei anderer Musik, und ist auch nachzuvollziehen, daß das Hören eines Musikstückes gewisse Emotionen auslöst. Allerdings wird auch niemand davon ausgehen, daß der Hören von Country-Musik Zuhörern eine konservative politische Gesinnung vermittelt oder ihre Intelligenz verändert (vgl. die Tabelle in Miehling 2005, S.2). Tatsächlich zeigen verschiedene Untersuchungen zwar einen kausalen Zusammenhang zwischen den Texten von Musikstücken und bestimmten Gefühlen, nicht aber zu aggressivem Verhalten (vgl. Chiashi 2007, S.7f.).

x. In seinem Essay vertritt Miehling weiterhin die These, daß Menschen letztlich die Verhaltensweisen, die in der Musik und auch von ihren Interpreten dargestellt würden, nachahmten und adaptierten (vgl. Miehling 2005, S.8). In einem besonders drastischen Bild behauptet er, daß der Konsum von Black-Metal-Musik zu Satanismus und Menschenopfern führe (vgl. ebd., S.6f.). Besonders augenfällig ist, daß er als "Beweis" dafür auf Selbstrationalisierungen oder Rechtfertigungsversuche zurückgreift und auf eine moralische Ebene vermeintlich akzeptierter Lebensvorstellungen fällt. Insbesondere sei der in den 1960er Jahren vollzogene Wertewandel, der in der Geschichte ohne Vorbild gewesen sei, vor allem auf "Gewaltmusik" zurückzuführen (vgl. ebd., S.4f.). So habe ein Rockhörer an sich festgestellt, die Musik habe an ihm eine "Gehirnwäsche" vollzogen, indem sie ihm tolerantere Haltungen zu Sexualität und Drogen eingeimpft habe. "Gewaltmusik" bewirke auf diese Weise letztlich den "moralischen Zerfall" der Gesellschaft (vgl. ebd., S.10f.).

x. Miehling erklärt jegliche Entäußerung, die Zuhörer und Zuschauer demonstrieren, zu einem "Ausleben von Aggressionen" (vgl. ebd., S.10) und versucht zu implizieren, daß auch Straftaten "eine nicht unübliche Folge von Gewaltmusikkonsum" seien (vgl. ebd., S.3). Als "Beweise" dafür führt er an, daß wenige Jahre nachdem die Stadt Chicago zu einer frühen Hochburg des Jazz geworden war, dort Al Capones Gangster-Imperium blühte, und um 1960, ein Jahrzehnt nach der Entstehung des Rock'n'Roll, ein Anstieg der Kriminalität begonnen habe. Zwischen 1950 und 1979 sei demnach die Zahl der Verbrechen, die von unter 15jährigen begangen wurden, um einen Faktor 83 bei weniger schweren und 110 bei schweren Verbrechen angestiegen (vgl. ebd., S.3f.), und bis zu 90% der Jugendlichen hätten innerhalb der letzten 12 Monate eine Straftat begangen (vgl.5).

Zum einen ist dabei sehr deutlich darauf hinzuweisen, daß solche Fragen mit eingegrenzten Zeithorizonten bei den Befragten zu sehr starken Fehleinschätzungen - insbesondere zu Überschätzungen - führen (vgl. Killias 2007b, S.17), und andererseits befragte Jugendliche je nach der gegebenen Sensibilität für ein Thema auch Bagatellen als "Straftaten" berichten (vgl. Pröhl 2005, S.175).

Daneben nahm die Kriminalität, insbesondere auch die Jugendkriminalität, nicht erst seit der Einführung des Rock'n'Roll zu, sondern bereits spätestens seit 1939 zu (vgl. ), trotzdem Jazz, Swing, Tango etc. als "Negermusik" verpönt oder deren Anhören gar bei schweren Strafen bis hin zur Einweisung ins Konzentrationslager verboten war (vgl. Wikipedia:Swing-Jugend). Dazu muß übrigens auch noch festgehalten werden, daß es sich nicht zwingend um Handlungen handelte, die zu anderen Zeiten als tatsächliche "Kriminalität" angesehen wurden, sondern das Nazi-Regime hatte Verbrechenstatbestände erfunden, um Opposition gegen sich zu bekämpfen (vgl. Historisches Lexikon Bayerns: Hitlerjugend, abgerufen am 30.11.2007). Es nimmt auch nicht Wunder, daß infolge der Einführung immer härterer Bestrafungen auch die Zahl der Verurteilungen zunahm. Weitere festgestellte Zunahmen der Jugendkriminalität wurden - zumindest in der Schweiz - in jeweils durchaus signifikantem Umfang von 30-60% auf Reformen im Strafrecht und der Datenerfassung zurückgeführt (vgl. BFS 2007, S.11f.).

Bei dieser Darstellung vernachlässigt Miehling auch völlig, in welchem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kontext die Entwicklung der Kriminalität bzw. der moralischen Werte stattfand. So nennt Killias (2007x) als einen wesentlichen Grund für ein vermehrtes Auftreten von Verbrechen nach dem zweiten Weltkrieg die Entstehung der modernen Konsumgesellschaft, mit der auch ein verändertes Freizeitverhalten verbunden gewesen sei. In der Folge dieser Entwicklungen habe es dann mehr Gelegenheiten für kriminelle Handlungen gegeben (vgl. S.).

Gerade die Nazizeit war ansonsten eine so radikale Zäsur, daß die althergebrachten Erklärungsmuster nicht mehr anwendbar waren. Die Moralvorstellungen der Eltern hatten nicht getaugt, um die Herrschaft der Nazis zu verhindern oder zu Fall zu bringen, viele der Eltern hatten sogar ihren kleinen Teil zum Erfolg der Nazis bei vielen ihrer Ziele beigetragen, indem sie die Nazis als Vertreter ihrer Moralvorstellungen sahen und sich selbst entsprechend in deren Dienst stellten. Als sich das Leben mit dem "Wirtschaftswunder" wieder zu normalisieren begann, lebten die Eltern nach genau diesen Moralvorstellungen weiter:

Wieder wurden Jugendliche beschimpft und gedemütigt, wenn sie anderen Liebesbriefe geschrieben hatten, und als "verwahrlost" bezeichnet, wenn sie sich nicht den "herrschenden Vorstellungen" konform kleideten oder abends zu spät nach Hause kamen, und in geschlossene Heime eingewiesen, in denen Jugendliche unter menschenunwürdigen Bedingungen untergebracht waren und arbeiten mußten (vgl. ). Menschen, die wegen Verstoßes gegen Moralgesetze vor Gericht standen, die noch in der Nazizeit erlassen worden waren, mußten sich anhören, "[w]enn wir heute noch ordentliche Zeiten hätten, dann würde ich Sie ins KZ schicken" (so berichtete vor Jahren in der WDR-Sendung "Domian" ein homosexueller Mann von seinen Erfahrungen mit den Strafverfolgungsbehörden in der Adenauer-Zeit). Auch das Frauenbild der 1950er Jahre ähnelte so sehr den Vorstellungen, wie sie die Nazis als Ideal dargestellt hatten. Man hatte also auch nicht so sehr umgedacht. Um so mehr noch hatten sich die Erwachsenen moralisch diskreditiert, als sie daneben auch die eigene Verantwortung für den Naziterror nicht hinterfragten.

Auch führten die Altvorderen und jene "Wertegemeinschaft" wieder verheerende Kriege, insbesondere in Vietnam, und gingen weiterhin davon aus, daß die Jugend schon mitmachen würde, wenn sie - wie immer sonst vorher - zu den Waffen gerufen wurde. Wie verwunderlich dann, daß junge Menschen in den 1950er und 1960er Jahren kein Interesse mehr daran hatten, den Moralvorstellungen ihrer Eltern auch nur ungefähr zu folgen. Reklamierte Werte wie "Ehrlichkeit" und "Verantwortung" hatten die Altvorderen jedenfalls nicht demonstriert. Tatsächlich wurde mehr oder weniger erst auf Druck der Jugend über zwanzig Jahre nach Ende des zweiten Weltkriegs langsam die Auseinandersetzung mit der eigenen Verantwortung begonnen.

. Auch Konzerte und Raves, die Musikveranstaltungen der Technoszene, führt Miehling in diesem Kontext an (vgl. Miehling 2005, S.8). Als "Beweis" für die vermeintlich Kriminalität auslösende Wirkung von Rap und Hip-Hop-Musik führt Miehling an, daß auf einem Hip-Hop-Festival 90 Jugendliche wegen Diebstählen und Drogendelikten verhaftet worden seien (vgl. ebd., S.5), und bringt ansonsten das überhaupt erst einmal intuitive Urteil eines Pädagogen, der jugendliche Sexualstraftäter therapiere, daß er ja schon gar nicht mehr reinhöre, "was für Musik" sich diese anhörten. Er wisse "sowieso, was die alle hören" (s.o.).

Ansonsten sollte vielleicht auch einmal bedacht werden, daß dort wo viele Jugendliche - insbesondere bestimmter Schichten - zugegen sind, häufig auch vermehrt jugendliche Straftäter zu finden sein werden. Auch dürfte es schwerfallen, anläßlich von Großereignissen wie etwa der "Love Parade", ähnlich viele Schläger zu finden wie bei einem durchschnittlichen Fußballspiel.

. Und auch die "dämonische Besessenheit" darf natürlich nicht fehlen. So berichtet Miehling davon, daß Zuschauer auf Rockkonzerten in ekstatische Zustände gerieten, die sich in Trancen, Weinkrämpfen, hysterischem Kreischen etc. äußerten, oder auf solchen Konzerten auch Kleidungsstücke oder der Schweiß der Musiker als Devotionalien verehrt würden (vgl. Miehling 2005, S.9). Ohne freilich davon zu sprechen, daß derartiges Erleben auch bei diversen religiösen Veranstaltungen, wie sie etwa Katholiken, Evangelikale, Pfingstler oder Charismatiker betreiben, gang und gäbe ist und sogar als Beweis für "göttliches Wirken" gesehen wird. Dort natürlich im positiven Sinne.

2. (Ent-)Idealisierung der klassischen Musik

Letztlich ist natürlich Miehlings Definition von "Gewaltmusik" so gewählt, daß zwar die Beatles dieser unterfallen, allerdings nicht etwa eine Battaglia (Schlachtmusik) aus der italienischen oder englischen Renaissance oder die "Ouvertüre von 1812".

Miehling idealisiert die klassische Musik sogar soweit, daß er eine Auswirkung, daß Schüler, die im Alter von 13 Jahren bessere Noten hatten, zwei Jahre später häufiger klassische Musik konsumierten, d.h. einen Selektionseffekt, gedanklich umkehrt und weiterhin reklamiert, daß das Anhören von Rock'n'Roll, Rap, Hip-Hop etc. die Hirnkomplexität verringere (vgl. Miehling 2005, S.2).

Miehling behauptet auch, es müsse auch einen Zusammenhang zwischen der gespielten Musik und dem Charakter der Interpreten geben, und es falle schwer, unter klassischen Musikern eine vergleichbare Anzahl an Kriminellen und Delikten zu finden (vgl. Miehling 2007, S.9). Allerdings idealisiert er damit auch diese Musik und deren Macher etwas zu sehr. Auch die klassische Musik - wobei wir diese Definition nun einmal sehr weit fassen und auch die Epochen der Renaissance und des Barock wie auch die Zeit bis etwa 1900 mit einbeziehen. Wir dürfen natürlich nicht vergessen, daß natürlich die Zahl der Musiker auch sehr vel größer gewesen sein dürfte als die Zahl der heute noch bekannten Namen. Andererseits gehorchten schon die berühmten Musiker jener Zeit nicht unbedingt den damals herrschenden Konventionen, waren geprägt von körperlichen und psychischen Leiden, teilweise waren sie sogar Verbrecher im heutigen Sinne:

Häufig wurde deren Musik "zuviel Modernität" attestiert, verwenden einige Kompositionen Bilder oder Stilelemente, die erst Jahrhunderte später verstanden oder wieder aufgegriffen wurden (vgl. Wikipedia:Claudio_Monteverdi; Wikipedia: Carlo_Gesualdo; Wikipedia:Beethoven). Nach Gary Tomlinson (2000) ist Claudio Monteverdi der eigentlich letzte Komponist vor dem 20.Jahrhundert, der das Publikum unmittelbar in die Emotionen der dargestellten Figuren mit einbezog, bevor mit der völligen Ausbildung der Musik des Barock die "vierte Wand" eingeführt wurde, die den Zuschauer von der Handlung trennte. Die Renaissancekomponisten Bartolomeo Tromboncino und Carlo Gesualdo, von denen leidenschaftliche und sehnsüchtige Liebeslieder stammen, waren Kriminelle: Ersterer hatte zumindest ein sehr unstetes Leben geführt und hatte nach einem entdeckten Seitensprung seiner Ehefrau mindestens diese (vgl. en.Wikipedia:Bartolomeo_Tromboncino), Letzterer hatte gemeinsam mit mehreren Spießgesellen seine Frau, deren Liebhaber und auch eine kleine Tochter, deren Vaterschaft er nicht sicher war, grausam umgebracht - konnte allerdings nicht strafrechtlich belangt werden (vgl. Wikipedia:Carlo_Gesualdo). In seiner vorletzten Oper "Ritorno d'Ulisse in Patria" verwendete Claudio Monteverdi teilweise ganz ähnliche Rhythmen wie über 300 Jahre später Bill Haley (vgl. etwa den Schluß von "Sono l'altre Regine" (II.Akt/8.Szene)). Auch er litt seit dem Tod seiner Frau im Jahr 1607 an Depressionen und blieb - vielleicht für seine Zeit uncharakteristisch - bis zu seinem Lebensende unverheiratet (vgl. Wikipedia:Claudio_Monteverdi). Im Jahre 1655 entfloh der Komponist Johann Rosenmüller, immerhin an der Leipziger Thomasschule ein Vorgänger Johann Sebastian Bachs, dem Gefängnis, in das er gekommen war, weil ihm eine Liaison mit einem Chorknaben vorgeworfen wurde, und lebte für die nächsten fast 30 Jahre in der Fremde, wobei er unter anderem am Ospedale della Pietà in Venedig dieselbe Position bekleidete wie einige Jahrzehnte später Antonio Vivaldi (vgl. Wikipedia:Johann_Rosenmüller). Einige von Georg Friedrich Händels Opern wurden zu ihrer Zeit als "obszön" verrissen. Wolfgang Amadeus Mozart starb möglicherweise an der Syphilis (vgl. Wikipedia:Wolfgang_Amadeus_Mozart), Beethoven an den Folgen seines Alkoholmißbrauchs (vgl. :).

Klassische Musik mußte nicht unbedingt "abgehoben" sein und mit der mitunter brutalen Lebenswelt der Menschen nichts zu tun haben. Der Komponist John Gay verarbeitete in seiner "Beggar's Opera" (zu Deutsch "Des Bettlers Oper") "Gassenhauer" und Anekdoten über berühmt-berüchtigte Gauner, die sich als Saubermänner darstellten (darunter auch den damaligen Premierminister), die zu jener Zeit Jeder kannte.

Ansonsten hat auch die Beatmusik der 1960er Jahre viele klassische Vorbilder. Auch vom dynamischen Abstand her sind Musikstücke aus dieser Zeit der klassischen Musik vergleichsweise ähnlich (vgl. en.wikipedia:Full_Metal_Jacket). [Heute eher androgyne Männerstimmen, wie in der klassischen Zeit?] Dem Autoren ist auch eine interessante Interpretation des mittelalterlichen Liedes "Amors, merce no sia" für Schlagzeug bekannt (Capella de Ministrers, "Trobadors. Courtly Love in the Middle Ages"). Andererseits wird heutige Musik dafür kritisiert, einerseits sehr laut zu sein und andererseits einen nur geringen dynamischen Abstand zu besitzen (vgl. http://www.cdmasteringservices.htm/dynamicrange.htm; abgerufen am 05.11.2007). Dies betrifft allerdings auch nicht nur Rap, sondern auch Country-Musik, die Miehlings Definition nach nicht zur "Gewaltmusik" gehört.

Daneben waren zu ihrer Zeit Musik und Gewalt sehr viel enger verquickt als heute, da die Machthaber die Sponsoren aufwendiger Kompositionen waren und diese natürlich auch zu Zwecken der Propaganda und Selbstdarstellung nutzten. In "La Pellegrina", einem Gemeinschaftswerk verschiedener Komponisten der Renaissance, das 1589 anläßlich der Hochzeit des Fürsten Ferdinando de' Medici mit der Tochter des französischen Königs mit großem Pomp aufgeführt wurde, wurde leidenschaftlich und teilweise sehr schön die "Liebe" der beiden Adligen besungen, die zum Dreh- und Angelpunkt des Universums geworden sei. Allerdings spielte in der Heiratspolitik des Adels weniger die Liebe eine Rolle als vielmehr die politischen Vorteile, die man sich aus einer Verbindung erhoffte: Ferdinando hatte entsprechend seinen Bruder dafür verachtet, daß der aus Liebe eine "unbedeutende Frau" geheiratet hatte, und mutmaßlich beide vergiftet, um deren Platz als Machthaber einzunehmen (vgl. Wikipedia:Franz_I_(Toskana)). Die kunstbeflissenen römischen Kardinäle, die im Februar 1600 Giordano Bruno verbrannt hatten, konnten sich wenige Tage später an der Uraufführung des ersten Oratoriums, Emilio de' Cavalieris "Rappresentatione di Anima e di Corpo" ergötzen. Claudio Monteverdi biederte sich 1637 mit der Hymne "Volgendo il ciel" beim neuen deutschen Kaiser Ferdinand III. an, darin es heißt, der Friedefürst lasse mit seiner eisernen Hand alle Türme und Mauern zu Staub werden und tränke alle Felder mit Blut ("[...] un secolo di pace il Sol rimena [...] Le torri eccelse e le superbe mura / al vento sparse, e fé vermiglio il prato"). Deutschland versank zu jener Zeit in den Greueln des Dreißigjährigen Krieges und der Kaiser ließ sich dafür loben, daran nicht unerheblichen Anteil gehabt zu haben.

Nicht zu vergessen auch die legendären Saalschlachten zwischen den Anhängern von Wagner, Bruckner und Brahms, wobei sich ja offensichtlich erwachsene Menschen wegen musikalischer Fragen geprügelt haben. Miehling dementiert allerdings leidenschaftlich, daß es sich z.B. bei den Opern von Wagner trotz der Thematik um "Gewaltmusik" handelt (vgl. http://www.die-gesellschafter.de/diskussion/leben/detail.php?aid=367&cn=1; abgerufen am 31.10.2007).

3. Eigenschaften verschiedener Gattungen von Musik bzw. von deren Hörern

a. Einige Untersuchungen zeigen zunächst einmal gewisse statistische Zusammenhänge zwischen dem Musikgeschmack und bestimmten Charaktereigenschaften und Lebensweisen der Konsumenten. Nach Rentfrow+Gosling (2003) bezeichnen sich Hörer "reflektiver und komplexer" Musik wie z.B. Jazz und Klassik eher als offen für neue Erfahrungen und politisch liberal, Hörer "positiver und konventioneller" Musik wie z.B. Country und religiöser Musik eher als extrovertiert, sportlich und politisch konservativ. Hörer "energiereicher und rhythmischer" Musik wie z.B. Rap und Hip-Hop sich als politisch liberal, extrovertiert, sportlich und körperlich attraktiv sehen. Allerdings liegen die herausgearbeiteten Effektstärken in dem Rahmen, der durch die Charaktereigenschaften der Hörer vorgegeben wird (vgl. S.1241f.+1250). Entsprechend ist hier wahrscheinlicher, daß es sich dabei um Selektionseffekte handelt: So wird sich die politische Gesinnung kaum durch das Hören bestimmter Musik verändern lassen, sondern ist vielmehr im Umfeld erworben bzw. entspricht die Musikauswahl den eigenen Charaktereigenschaften. Daneben muß die Kategorisierung der verschiedenen musikalischen Genres wiederum in Bezug auf andere Untersuchungen relativiert werden (s.u.).

b. Rap-Musik wurde insbesondere wegen der provokativen Songtexte von Beginn an kritisiert. Auch im "Frontal 21"-Bericht vom 26.06.2007 wurde postuliert, daß es kausale Zusammenhänge zwischen dem Hören dieser Musik und Gewalttaten, Drogenexzessen etc. gebe.

Tatsächlich aber ist Rap-Musik anderen musikalischen Gattungen sehr ähnlich, die in dem Sinne nicht gerade kompatibel zu sein scheinen (s.o.). Armstrong (1993) verglich die Texte von Rap- und Country-Musik und stellte dabei deutliche Ähnlichkeiten zwischen diesen beiden Gattungen fest. So stellen auch Texte von Country-Stücken sehr häufig Themen wie Gewalt, Armut und Männlichkeitsbilder dar. Andererseits gibt es aber einen deutlichen Unterschied in der Bewertung dieser verschiedenen Genres: In Versuchen von Fried wurde ein und derselbe Text als Country- und Folk-Song mit jeweils weißen Sängern von den Zuhörern deutlich positiver bewertet als wenn er als Rap von einem schwarzen Sänger vorgeführt wurde. Dies deutet weniger auf eine objektiv gerechtfertigte als vielmehr auf eine subjektiv motivierte Ablehnungshaltung gegenüber solcher Musik im allgemeinen hin (vgl. Chiashi 2007, S.8).

Quellen zu diesem Abschnitt:

BFS (Eidgenössisches Bundesamt für Statistik), "Zur Entwicklung der Jugendkriminalität: Jugendstrafurteile von 1946 bis 2004", Statistik der Schweiz, Neuchâtel:Office fédéral de la statistique, 2007

Chiashi 2007

Killias 2007b

Miehling, Klaus 2005

Miehling, Klaus, "Was Sie über Rap wissen sollten", 2007

Pröhl 2005

Rentfrow+Gosling 2003

Verfassungsschutzbericht NRW 1996