. Die Schulnoten

. Der "gender gap"

In Untersuchungen in den USA wie in Deutschland wurde ein Mißverhältnis zwischen dem Anteilen von jungen Frauen und Männern an den Abschlußklassen höherer Schulen festgestellt. Dabei sind nicht wie zu erwarten wäre, die Anteile jeweils etwa hälftig, sondern der Anteil von Männern an allen Absolventen beträgt nur etwa 40%. Christian Pfeiffer formuliert als These, daß insbesondere der Konsum gewalthaltiger Computerspiele für diese wahrgenommene Diskrepanz verantwortlich sei.

Nun läßt anhand der Historie die besondere Rolle von Computerspielen nicht nachvollziehen. So berichteten in den USA Sears und Feldman (1966) für primary schools, Coleman (1961) für high schools und von Summerskill und Darling (1954) für colleges, in Deutschland Kemmler (1970) bei Drittklässlern von signifikanten Leistungsunterschieden zwischen Mädchen und Jungen (vgl. Richter 1996, S.70f.). Zu diesem Zeitpunkt bestand laut Mößle et al. (2006) aber noch keine Diskrepanz zwischen den Geschlechtern, was die Abschlußzahlen angeht (vgl. S.2), und gab es auch noch keine Computerspiele, die eine Leistungsdiskrepanz hätten herstellen können.

Im Zusammenhang mit der Behauptung, letztlich seien die konsumierten Computerspiele für die Leistungsunterschiede zwischen Mädchen und Jungen verantwortlich, lohnt durchaus eine Betrachtung der Literatur. Dort finden sich verschiedene andere Erklärungsansätze. Diese können weitgehend in "Nature"- und "Nurture"-Perspektiven aufgeteilt werden. "Nature"-Ansätze versuchen, geschlechtsspezifische Leistungsunterschiede biologisch zu begründen, während "Nurture"-Ansätze versuchen, diese auf unterschiedliche Sozialisation, z.B. Rollenverständnisse, zurückzuführen (vgl. Tausendpfund 2005, S.14).

.1 Biologische Ursachen

Biologische Erklärungsansätze unterteilen sich noch einmal in genetische, hormonelle und neurophysiologische Ansätze, wobei diese Unterscheidung häufig nicht trennscharf ist, sondern Theorieansätze ggf. Bezüge zwischen verschiedenen Bereichen aufweisen (vgl. ebd., S.15).

a. Genetische Ansätze. Mathematik wird in Hypothesen ggf. stark mit einem guten räumlichen Wahrnehmungsvermögen assoziiert (vgl. Richter 1996, S.131). In der sog. X-Kopplungshypothese wird davon ausgegangen, daß ein rezessives Gen auf dem X-Chromosom mit diesem assoziiert sei. Da Frauen zwei X-Chromosomen besitzen, aber nach den Regeln der dominant-rezessiven Vererbung rezessive Gene nur auftreten, wenn diese in beiden Chromosomensätzen auftauchen, und andererseits ein rezessives Gen auch durch ein dominantes Gen auf dem anderen X-Chromosom unterdrückt werden könne, sei die Wahrscheinlichkeit geringer, daß Frauen ein hohes räumliches Wahrnehmungsvermögen besitzen (vgl. Tausendpfund 2005, S.16), was dann seinerseits auch die Wahrscheinlichkeit für eine hohe mathematische Begabung verringere. Während ältere Analysen diese These zu bestätigen schienen, können neuere Analysen dies allerdings nicht, so daß sie aus heutiger Sicht eher als widerlegt angesehen wird (vgl. S.16f.).

b. Hormonelle Ansätze. Nach Kimura (1992) sind kognitive Unterschiede Ausdruck unterschiedlicher Hormonsituationen während der Entwicklung des Gehirns. Dabei soll bereits der Spiegel an Geschlechtshormonen während der Schwangerschaft die Entwicklung des Gehirns beeinflussen und damit eine geschlechtsspezifische Grundtendenz angeben. So sei es für Männer eine analytische Weltsicht, für Frauen ein Denken im Sinne einer Einfühlung "typisch". Der individuelle Spiegel an Geschlechtshormonen und weiterhin rhythmische Schwankungen dieser Hormone (Tages-, Monats- oder Jahresrhythmus) sollen weiterhin ein biologisches Maß für die Leistungsfähigkeit des Individuums vorgeben (vgl. Tausendpfund 2005, S.17f.).

c. Neurophysiologische Ansätze. Im "neurophysiologsche Erklärungsmodell" von Geschwind und Galaburda (1987) wird zu erklären versucht, welche Auswirkungen die Sexualhormone konkret auf die Entwicklung des Gehirns haben. Danach soll ein höherer Testosteronspiegel das Wachstum der linken Gehirnhälfte verlangsamen, wodurch bei Männern die rechte Gehirnhälfte dominant wird. Das Hormon Androgen hat einen Einfluß auf die Lateralisierung, d.h. Spezialisierung der Hirnhälften auf unterschiedliche Aufgaben. Das weibliche Gehirn sei danach in dieser Hinsicht weniger spezialisiert (vgl. Tausendpfund 2005, S.19f.). Dadurch sind beide Hirnhälften z.B. an verbalen Aufgaben beteiligt, wodurch der Spracherwerb erleichtert wird (vgl. Richter 1996, S.136f.) und eine Schädigung von Hirnbereichen kann leichter kompensiert werden. Die räumliche Wahrnehmung sei andererseits eine Fähigkeit, die von einer stärkeren Lateralisierung möglicherweise profitieren könne (vgl. Tausendpfund 2005, S.21). Die hormonelle Situation hätte weiterhin Konsequenzen auf die Verarbeitung von Sinneseindrücken und Inhalten im Gehirn (vgl. Richter 1996, S.129). Das Gehirn von Mädchen entwickle sich außerdem im Schnitt etwas schneller als das von Jungen (vgl. ebd., S.136f.).

In diesem Zusammenhang interessant ist, daß diese "biologischen" Unterschiede ebenfalls Produkte lange gehegter Rollenbilder sein könnten. So geht die sog. Jäger-Sammler-Theorie davon aus, daß Männer deshalb hinsichtlich der räumlichen Wahrnehmung überlegen seien, weil sie in den urtümlichen Jäger-und-Sammler-Gesellschaften die Männer häufig als Jäger tätig gewesen seien, die Evolution dabei natürlich Männer mit guten Fähigkeiten zur räumlichen Wahrnehmung bevorzugt habe. Während der Jagd wird nur eine auf das Notwendige beschränkte Kommunikation gepflegt. Währenddessen seien Frauen primär Sammlerinnen gewesen, die die meiste Zeit in der Nähe ihrer Familie verbracht hätten, wodurch die Höherentwicklung von Kommunikationsfähigkeiten und Empathie evolutionär begünstigt gewesen sei (vgl. Tausendpfund 2005, S.21).

Allerdings sind Fähigkeiten, für die hier monolithisch ein Begriff verwendet wird, in der Realität ggf. ausdifferenziert. So gibt es auch bei der räumlichen Wahrnehmung unterschiedliche Aufgaben. Frauen verfügen demnach über ein besseres Gedächtnis für Standorte und die Anordnung von Objekten, während Männer Vorteile bei der räumlichen Orientierung und dem Gefühl für Winkelabstände genießen. Andererseits sind Kommunikationsfähigkeiten für alle genannten "Rollen" ähnlich wichtig, so daß es nicht plausibel erscheint, warum die Geschlechter hier unterschiedlich entwickelt sein sollen. Geschlechtsspezifische Unterschiede sind weiterhin gering, während nicht-biologische Aspekte deutlich größere Einflüsse ausüben. Auch kommen biologische Ansätze nicht ohne die Einbeziehung von Umweltfaktoren aus -- so wirken sich etwa Ernährung und psychische Situation auch auf den Hormonhaushalt aus, was wiederum Einfluß auf die Leistungsfähigkeit hat (vgl. Tausendpfund 2005, S.21f.).

Biologische Ansätze sind weiterhin in der Hinsicht problematisch, daß in der Vergangenheit durch sie auch die Ungleichbehandlung von Frauen und Männern gerechtfertigt wurde, und zum anderen auch eine Unveränderlichkeit von Faktoren wie der Intelligenz suggeriert wird (vgl. Tausendpfund 2005, S.14f.). Tatsächlich aber können Unterschiede durch Training der relevanten Hirnfunktionen ausgeglichen werden (vgl. Richter 1996, S.131).

.2 Situative Bedingungen

In der sog. Stereotype-Threat-Theorie wird angenommen, daß Personen, denen in einer Testsituation ein "situationaler Leistungsdruck" (Tausendpfund 2005, S.38), d.h. bestimmte stereotype Erwartungen über ihre mutmaßlich geringere Leistungsfähigkeit gegenwärtig sind, Ängste entwickeln, diesen stereotypischen Erwartungen möglicherweise zu entsprechen. Diese können ihre Leistungsfähigkeit tatsächlich beeinträchtigen. Ursprünglich entwickelt, um Leistungsunterschiede zwischen Farbigen und Weißen zu "erklären", ist diese Theorie auch auf vermeintlich "geschlechtsspezifische" Unterschiede anwendbar. So kann bei Frauen, denen das Klischee "Frauen können keine Mathematik" (ebd., S.39) suggeriert wird, tatsächlich die Leistung in nachfolgenden Mathematiktests negativ beeinflußt werden. Dieser Effekt ist allerdings auf den Bereich beschränkt, den das Klischee abdeckt, z.B. in einem Sprachtest schneiden die gleichen Frauen im Schnitt nicht schlechter ab als Männer. Analog zu den negativen können auch "positive Stereotype" verinnerlicht werden (vgl. hier und im folgenden Tausendpfund 2005, S.37-44).

Nun könnte man im Hinblick auf den PISA-Test gerade annehmen, daß hier doch eine "objektive Leistungsmessung" stattfinde, die Stereotype gerade ausklammere. Voraussetzung für ein Auftreten des Stereotype Threats ist aber gerade die Annahme, daß der Test, an den die Stereotype gebunden sind, als zuverlässig wahrgenommen wird. Der leistungsmindernde Effekt ist weiterhin um so stärker, je stärker sich die Testpersonen mit dem getesteten Problembereich identifizieren. Auch die Identifikation mit der Gruppe kann das Ausmaß der Leistungsbeeinträchtigung beeinflussen, wobei allerdings die Beeinflussungsrichtung nicht absehbar ist. So schneiden Frauen, denen obiges Stereotyp suggeriert wird, in einem Mathematiktest um so schlechter ab, je stärker sie ihr Geschlecht als wichtigen Teil ihrer Identität ansehen, während Afroamerikaner, die sich stärker mit diesem Bevölkerungsteil identifizieren, besser abschneiden. Ein weiterer Maßstab ist die wahrgenommene Testschwierigkeit: je schwieriger der Test, also z.B. die Aufgaben oder das Zeitlimit, empfunden wird, desto ausgeprägter ist der Stereotype Threat.

Bleiben diese Stereotype langfristig bestehen, kann dies zu einer Entfremdung gegenüber dem Lebensbereich führen, in dem sie auftreten, d.h. er wird nicht mehr länger als Quelle des Selbstbewußtseins angesehen. Das heißt, daß gerade die immer stärkere Konzentration auf Leistungskontrollen, und auch die Anfertigung von Studien, die geschlechtsspezifische Unterschiede aufzeigen mögen, vielleicht sogar kontraproduktiv ist, d.h. zu einer Verringerung der Leistungen (des stereotypisierten Geschlechts) führen könnte. Als Strategie, um hier gegenzusteuern, wird vorgeschlagen, Aspekte des Selbstbildes anzusprechen, auf die keine solchen klischeehaften Erwartungen anwendbar sind.

Auch andere Bedingungen der Teststellung haben einen Einfluß auf die Leistungsfähigkeit der Probanden. So zeigen Mädchen und Frauen bessere Leistungen, wenn ihnen als Aufgabe des Tests die Identifikation besonders begabter Personen genannt wird (dies sei als "Positivsituation" bezeichnet), während sich der Effekt bei Jungen und Männern zeigt, wenn als Aufgabe die Idenfikation besonders unbegabter Personen ("Negativsituation") genannt wird. Dies wird damit erklärt, daß Frauen sich in einer Situation, in der "Negativsituation" unbegabte Personen gewählt werden sollen, mit einem Druck konfrontiert sehen, das o.g. negative Klischee zu widerlegen, während Männer in der "Positivsituation" mit dem zugehörigen "positiven Klischee" konfrontiert sind.

.3 "Kulturelle" Rollenvorstellungen

Der Stereotype-Threat-Aspekt leitet über zu der Frage der "kulturellen" Rollenerwartungen und ihrem Einfluß auf die Leistungsfähigkeit von Personen. In einem Versuch von Davies et al. (2002) wurden Testpersonen in zwei Gruppen aufgeteilt, von denen der einen Gruppe Werbefilme vorgeführt wurden, die Frauen in klassischen Rollenbildern zeigten, während der anderen Gruppe neutrale Werbefilme ansah. Anschließend wurden diese Testpersonen einem Mathematiktest unterzogen. Dabei zeigte sich nur bei jenen Frauen, denen das "traditionelle" Rollenbild präsentiert wurde, eine Verschlechterung der Leistungen gegenüber den Männern. Dies wird damit begründet, daß durch das Ansehen der Werbefilme das negative Stereotyp aktiviert worden sei (vgl. Tausendpfund 2005, S.45).

Nun halten Mößle et al. (2006) fest, daß der Leistungsunterschied zwischen Mädchen und Jungen in den letzten Jahrzehnten gewachsen sei (vgl. S.2). In der Tat nahmen Jungen vor einigen Jahrzehnten mit einer höheren Wahrscheinlichkeit als heute an, einen höheren Bildungsabschluß zu erwerben, während Mädchen damals für sich eher als heute einen niedrigen Bildungsabschluß voraussahen. Entsprechend waren Mädchen in höheren Bildungseinrichtungen auch unterrepräsentiert (vgl. Conlin 2003). Die Veränderung der Rollenbilder und Lebensentwürfe von Mädchen kann entsprechend selbst einen Erklärungsansatz bieten (vgl. Nieding+Ohler 2006, S.51).

.4 Eignung der Lernkonzepte.

Um den Ideal der Gleichberechtigung Vorschub zu leisten, wurden ansonsten neue Lernkonzepte etabliert, um dieser Unterrepräsentation zu begegnen (vgl. Conlin 2003). Dabei ist aber versäumt worden, geeignete Lernkonzepte zu entwickeln, unter denen sich die Jungen vergleichbar zurechtfinden könnten (vgl. Richter 1996, S.112f.).

x. Übergang von Inhalten in das Gedächtnis

["Killercomputerspiele beschädigen das Gedächtnis"] So meinen verschiedene Autoren, daß die Verankerung von Informationen im Langzeitgedächtnis mindestens 24 Stunden dauere und während dieser Zeit die Information wiederholt oder variiert werden müsse und dieser Prozeß auch nicht durch emotionale Aufwühlungen gestört werden dürfe, damit diese Verankerung erfolgen könne (vgl. Rehbein et al. 2006, S.40).

[Acetylcholin] Bei der Analyse der Reaktionen auf gewalttätige Nachrichtenbilder wurde nun weiterhin festgestellt, daß Personen, denen ein solcher Inhalt präsentiert wurde, Inhalte, die zuvor präsentiert worden waren, schlechter erinnern konnten. Die Untersuchenden führten dies darauf zurück, daß neuere Inhalte, die mehr Verarbeitungskapazität erfordern, Ressourcen von unvollendeten Verarbeitungsvorgängen abziehen.

Allerdings können diese Ergebnisse nicht unmittelbar auf schulische Lerninhalte übertragen werden, die ja in anderer Form präsentiert werden, wie die Autoren des KFN selbst festhalten (vgl. Rehbein et al. 2006, S.40f.). Weiterhin wird mit der Vorstellung auch ein sehr einfaches Modell des Gedächtnisses konstruiert, das in dieser Form von der Wissenschaft nicht mehr vertreten wird (vgl. ).

Andererseits ist auch hier wieder eine Doppelsinnigkeit im Denken der Medienkritiker verborgen: So wird einerseits davon ausgegangen, daß gewalttätige Szenen emotional verstörend seien. Andererseits propagieren sie aber, daß durch solche Szenen eine Abstumpfung eintritt: Träte aber eine solche "Abstumpfung" ein, so daß gewalttätige Medienbilder nicht mehr emotional belastend sind, so ist dies auch nicht recht.

x. "Bildungsprojekte"

Vielfältig beklagt wird insbesondere die vermeintlich wachsende Unfähigkeit der Schüler. Man will nun nicht behaupten, daß nicht zum Teil die Schüler wirklich demotiviert sind oder Schwierigkeiten haben, Unterrichtsinhalte zu begreifen. Allerdings machen es sich die Medienkritiker darin zu einfach, daß sie das Versagen allein auf individuelle außerschulische Handlungen der Schüler zurückführen. Es gibt viele Beispiele von Fehlern im System, die letztlich dazu führen, daß Motivation leidet und Fähigkeiten und Potentiale nicht entwickelt werden. Man soll aber nicht allein klagen, daß die Schüler und Studenten „dumme Fragen“ stellten, wie es leider all zu oft geschieht (vgl. Bauer 1997), sondern die gefälligst beantworten..

x.1. Das dreigliedrige Schulsystem

Hinweise auf Mängel des deutschen Bildungssystems wurden geflissentlich ignoriert oder die bemängelte Schichtung weiterhin als "Erfolgsmodell" bezeichnet und um so konsequenter durchgeführt, indem z.B. in Nordrhein-Westfalen die Laufbahn"empfehlung", die Grundschullehrer nach der vierten Klasse abgeben, bindend gemacht wurde ().

x.2. Abitur nach 12 Jahren

["G8"]

Sinnigerweise wurde zur Kompensation ein Vorschlag gemacht, der wiederum eine Krampfhaftigkeit suggeriert, daß nämlich das "Abitur nach 12 Jahren" als ein Prestige-Projekt unbedingt realisiert werden mußte, egal welche Schäden dieses auch anrichten würde. Um die Überlastung zu kompensieren, die man Schülern aufbürdete, wurden dann im Gegenzug als wichtig einzuschätzende Kompetenzen bzw. Wissensbausteine wie "produktionsorientiertes Schreiben", zeichnerische Umsetzung geometrischer Operationen, die "Beurteilung statistischer Aussagen in authentischen Texten" (diese sollte man doch lieber "Panorama" überlassen) oder Leben in früheren Zeiten oder anderen Ländern zusammen oder ganz gestrichen. Allerdings wurden keine Inhalte aus dem Religionsunterricht gestrichen ("Schulzeitverkürzung", abgerufen am 06.03.2008). Denn es handelt sich ja um eine "christliche Regierung", die die "Ehrfurcht vor Gott" auch als ein erheblich wichtigeres Bildungsziel ansieht.

Insgesamt scheint es auch zweckmäßiger zu sein, den Schülern mehr Zeit zu geben. Das japanische Schulsystem, das Sechstagewochen und Managerstundenpläne schon hatte, wurde 1996 reformiert und diese Unbilden zurückgefahren, weil sich durch den Druck verursachte psychische Probleme von Schülern häuften (vgl. Wikipedia: Hikikomori, abgerufen am 22.04.2008). Vielleicht herrscht bei den meisten Eltern noch nicht die Vorstellung vor, ein solches System sei "zu lasch".

x.3. "Zentralabitur"

Ein weiteres Prestigeprojekt ist die Einführung eines zunächst länderbezogenen, zum Teil auch eines bundesweiten Zentralabiturs (vgl. "Zentralabitur: Ein Ablenkungsmanöver?", abgerufen am 25.04.2008). Dabei ging es darum, landesweit einheitliche Abiturprüfungen - und damit auch Lehrinhalte - einzuführen. Als Ziel wurde hier eine höhere Vergleichbarkeit der verschiedenen Abschlüsse genannt. Jedoch kann dieses Ziel kaum erreicht werden, wenn nicht auch die Bewertung zentral oder zumindest intersubjektiv erfolgt. Dies ist jedoch häufig nicht der Fall (vgl. Wikipedia: Zentralabitur, abgerufen am 25.04.2008).

Andererseits wird der Eindruck erweckt, daß damit ein Instrument geschaffen wurde, mit dem zentral die Anzahl der Abiturienten bzw. zumindest der Studienanfänger geregelt werden kann. Während das erste Zentralabitur in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2007 als eher zu leicht empfunden wurde (vgl. "Lob und Tadel für Zentralabitur", abgerufen am 25.04.2008), wurde für den zweiten Durchgang im Jahr 2008 ein unangemessen hoher und zudem zwischen den verschiedenen Leistungsniveaus noch sehr unausgeglichener Schwierigkeitsgrad festgehalten (vgl. "Am Abi verzweifelt", abgerufen am 25.04.2008). (Meines Erachtens nach süffisant) wurde dabei bemerkt, daß die Aufgaben vorab von Lehrern unter Klausurbedingungen gelöst werden mußten (vgl. "Lob und Tadel für Zentralabitur"; "Fehlerteufel schläugt auch im zweiten Zentralabitur in NRW zu", abgerufen am 25.04.2008). Allerdings kann dieser Maßstab auch nicht unbedingt auf die Schüler umgerechnet werden.

Andererseits wurden aber auch eklatante Fehler in den Aufgabenstellungen festgestellt, die den Sinn von Aufgaben (und damit auch die Lösungen) veränderten und unter einer solchen Maßgabe eigentlich eher hätten auffallen müssen (vgl. Wikipedia: Zentralabitur, abgerufen am 25.04.2008).

x.4. Ganztagsschule

Nun wäre allerdings eine Begrenzung des Pensums auf die einkalkulierte Arbeitszeit in der Schule nicht unbedingt möglich. Vokabelübungen und ähnliches "Pauken" würden die Schüler weiterhin in ihrer "Freizeit" durchführen müssen. Auch noch aus meinem eigenen Schulunterricht vor etlichen Jahren ist mir eine Studie in Erinnerung geblieben, die sich mit der Einführung eines Ganztagsschulbetriebs in einer Kommune beschäftigte. Als ein Hauptargument für ihre Zustimmung zur Ganztagsbeschulung ihrer Kinder hatten damals fast alle Eltern angegeben, daß ihre Kinder bei Schulschluß dann wirklich "Freizeit" hätten. Ein Jahr später wünschte sich allerdings bereits wieder die Mehrheit der Eltern für ihre Kinder Hausaufgaben. Sie sahen diese nunmehr als ein "wichtiges Bindeglied zwischen Schule und Elternhaus" an -- notfalls auch wieder auf Kosten der Kinder, die ja schon die ganztägige Beschulung hatten.

x.5. Studiengebühren

Auch die Studiengebühren stellen im Ergebnis ein Mittel dar, das die Bildungssituation eher verschlechtern kann. Diese wurden beispielsweise mit der Begründung eingeführt, zusätzliche Gelder würden zu einer "Verbesserung der Lehre" dienen (Wikipedia: Studiengebühren in Deutschland, abgerufen am 31.10.2008). In dem Kontext, daß die OECD bereits moniert hatte, daß in Deutschland nur ein sehr stark unterdurchschnittlicher Anteil eines Altersjahrgangs ein Studium beginnt () und andererseits für die nächsten Jahre ein Fachkräftemangel befürchtet wird (), erscheinen diese Maßnahmen jedenfalls als deutlich fehlgerichtet. Neben Vorwürfen einer nicht zweckgebundenen Verwendung - etwa zur Zahlung von Heizkosten () oder zur Tilgung von Schulden () - wurden zahlreiche Befürchtungen geäußert, der Staat wolle sich dadurch aus der Verantwortung für die Hochschulbildung stehlen. Diese Befürchtung kann man am Beispiel Italiens festmachen, wo den Plänen der Berlusconi-Regierung nach Studiengebühren die staatliche Finanzierung der Hochschulen weitgehend ersetzen sollen (). Andererseits läßt sich auch vermuten, daß es eine gewisse Lobby für Studiengebühren gibt. So hatten Wirtschaftsverbände sich für die Einführung von Studiengebühren ausgesprochen, die sogar noch deutlich höher ausfallen sollten als die bislang zulässigen 500 Euro pro Semester (vgl. "Ideologieproduktion für den Profit"; Wikipedia: Studiengebühren in Deutschland, abgerufen am 31.10.2008).

Auch erscheinen diese nach verschiedenen Studien als ein Mittel zur Verstärkung der sozialen Schichtung im deutschen Bildungssystem. So haben im Jahr 2006 etwa fünf Prozent der potentiell Studierwilligen von einem Studium abgesehen, weil sie die Gebühren nicht aufbringen konnten. Die Mehrheit dieser Personen stammte aus sogenannten "bildungsfernen" Schichten ("Studiengebühren schrecken vom Studium ab", abgerufen am 31.10.2008), deren Anteil an den Studierenden sich dadurch noch entsprechend noch einmal verringert haben dürfte. Etwa 70% der deutschen Studierenden sind gegen Studiengebühren. Die Ergebnisse solcher Studien wurden allerdings geflissentlich zurückgehalten oder von der Politik in ihrem Sinne interpretiert ("Empörung über Schavans verheimlichte Studie", abgerufen am 31.10.2008), oder es wurde von Lobbyisten versucht, die öffentliche Meinung insofern zu beeinflussen, daß Studien durchgeführt wurden, in denen die Studenten nur zwischen verschiedenen Möglichkeiten der Finanzierung dieser Gebühren wählen (nicht aber Studiengebühren ablehnen) konnten, was allerdings zu einer Aussage umkonstruiert wurde, daß selbst die Mehrheit der Studierenden sich für Studiengebühren ausgesprochen hatte (vgl. "Ideologieproduktion für den Profit", abgerufen am 31.10.2008).

Andererseits scheint es aber auch nicht erwünscht zu sein, daß finanziell Schwache studieren. Bei "Hartz IV"-Empfängern entsteht sogar der Eindruck, es sei nicht einmal erwünscht, daß diese das Abitur machen. So erhalten Schulpflichtige zwar eine Sonderzahlung von 100 Euro pro Jahr für Schulbedarf, die - im Gegensatz zum Kindergeld - nicht auf die "Hartz IV"-Bezüge angerechnet wird, allerdings nur bis zur 10.Klasse. Zur Begründung für diese Beschränkung wurde angegeben, daß es ja ausreichend sei, überhaupt für einen Schulabschluß zu qualifizieren ("Bildungskosten: Kein Abitur - dank Hartz IV", abgerufen am 14.11.2008).

Quellen für diesen Abschnitt:

Bauer, Henry H., „The new generations: Students who don't study“, 1997; URL http://www.bus.lsu.edu, abgerufen am 26.01.2009

Conlin 2003

Nieding+Ohler 2006

Rehbein, F.O.; Mößle, T.; Kleimann, M., "Kinderzimmer im Cyberspace - Herausforderungen für Eltern, Schule und Politik", in: XXX, 2006, S.32-49

Richter 1996

Tausendpfund, Markus, "Höheres Interesse, schlechtere Leistung: Geschlechtsspezifische Leistungserwartung in der Mathematik und ihr Einfluss auf die Testleistung in der PISA-Studie 2003", Diplomarbeit, Universität Mannheim, 2005, Schriftenreihe "Mannheimer sozialwissenschaftliche Abschlussarbeiten", Nr.005/07

Letzte Aktualisierung: 26.01.2009